Betrachtungen eines digital Unzeitgemässen
Das Ende des Printzeitalters ist in vollem Gang. Und das muss auch gut so sein, denn: Es spricht wahrlich nichts für den Fortbestand gedruckter Presserzeugnisse. Sie sind unhandlich, im Fall von Tageszeitungen verursachen sie die Besudelung der Finger durch Druckerschwärze (die vermutlich obendrein für viele chronische Erkrankungen verantwortlich sein dürfte), sie kosten Geld, sind démodé, und vor allem: Sie sind in ihrem Angebot limitiert.

Ganz anders sieht es in der Online-Welt aus. Ein Mobiltelefon hat man eh zur Hand, man braucht also keine zusätzlichen Totholz-Devices, um an seinen Content zu gelangen. Die Finger bleiben sauber. Man kann die gewünschten Informationen und sogar Hintergrundberichte kostenlos beziehen (irgendwas findet sich immer zu allem), man ist up to date und state oft he art, und vor allem: Das Angebot ist unlimitiert (denn wie gesagt: Irgendwas findet sich immer zu allem). Zudem kann man sich sogar noch niederschwellig und – bei Bedarf und Neigung – unterirdisch äussern. (Das Schreiben von Leserbriefen ist keine Alternative. Es ist umständlich und irgendwie doof.) Und doch: Ich werde niemals auf gedruckte Presseerzeugnisse verzichten, solange man mir solche noch lässt. Und zwar gerade deswegen, weil das Informationsangebot limitiert ist. Klingt komisch? Ist aber so.
Möglichst nichts verpassen
Kürzlich war ich während einer Woche in einer Situation, die etwas an längst vergangene Zeiten erinnerte: Mein Zugang zur Onlinewelt war aus technischen Gründen eng begrenzt. Dessen gewahr, sorgte ich vor und nahm einen kleinen Stapel ungelesener Zeitschriften mit auf die Offlinereise (aus Gründen der Transparenz: Es handelte sich um drei Ausgaben von »Cicero«, zwei des Branchenblattes »Schweizer Journalist«, zudem ein halbes Dutzend Artikel aus den Tageszeitungen »Der Bund« und »Neue Züricher Zeitung« sowie eine Ausgabe des »Spiegel« und eine der »Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung«). Die Lektüre war ausgesprochen erhellend. Ich las nahezu jede dieser Zeitschriften, jeden dieser Artikel praktisch von der ersten bis zur letzten Zeile. Ungeachtet dessen, ob mich das Thema interessierte oder nicht. Und ich stellte fest: Manche Themen, die mich nicht interessieren, interessieren mich eben doch. Artikel, die ich mit Netzzugang wohl nie gelesen hätte, weil sich im Internet unendlich viele Texte finden, die mich »wirklich« interessieren. Und ich merkte, dass die Lektüre der Printerzeugnisse einen gänzlich anderen Charakter hatte als das private Surfen im Internet. Letzteres erfolgt oft aus dem Bedürfnis, möglichst immer möglichst sofort auf dem Laufenden zu sein, nichts »Wichtiges« zu verpassen – und ja, ich gebe es zu: mitunter (eigentlich sehr oft) einfach nur purer Langeweile.
Interessiert mich nicht? Ich lese es
Bei der Offlinelektüre dagegen hatte ich Gelegenheit, etwas zu praktizieren, dessen ich beinahe verlustig gegangen war: Geduld. Nicht beim ersten Anflug von Langeweile etwas Interessanteres (oder, wie es heutzutage heisst: »Spannenderes«) zu suchen, sondern in den Text zu dringen, mich mit dem Gelesenen auseinanderzusetzen, neue Aspekte, neue Interessen zu finden, auch mal Themen streifen, die mich bestenfalls peripher berühren. Die Lektüre war für mich nicht eine Jagd nach News und Content, sondern eine Auseinandersetzung mit Geschichten und Sachverhalten. Es fand gewissermassen eine Umkehrung der Verhältnisse statt: Anstatt mich in der »realen« Welt der immer und überall verfügbaren Informations- und Meinungsflut aufzuhalten, machte ich eine Abstecher in die »virtuelle« Welt der kleinen, ausgewählten Textinseln auf einer überschaubaren Anzahl bedruckten Papiers.
Das Erlebnis war für mich erhellend und erschreckend zugleich. Ich merkte, wie langweilig das »Spannende« ist, wenn es im Überfluss daherkommt, und die interessant das Langweilige, wenn ich die Geduld aufbringe, mich damit zu befassen. Angesichts dessen habe ich beschlossen, das alles hier zu schildern. Im vollen Bewusstsein, dass ich einen solch ausufernden, »unspannenden« Blogtext wohl nie freiwillig lesen würde. Es sei denn, ich hätte ihn gedruckt vor mir und keine Möglichkeit, mich im Netz nach Interessanterem umzuschauen.
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